Jugendstil

Am Ende des Neunzehnten Jahrhunderts lag etwas in der Luft, etwas Neues, das von Kunsthandwerkern, Buchkünstlern und anderen gestalterisch Tätigen ausging. In Deutschland, so wie gleichzeitig auch in Frankreich, England und anderen Teilen Europas kehrten einige Künstler den Städten den Rücken und zogen sich aufs Land zurück. Dort entstanden in Ateliers und Werkstätten nie gesehene Ornamente und Formen, es entwickelte sich ein neuer Stil, der zuerst in der Malerei und Grafik seinen Ausdruck fand und später auf Fassaden, Möbel und Einrichtungsgegenstände übergriff.

Der Jugendstil, der in Frankreich „Art Nouveau“ und in England „New Style“ heißt, hat verschiedene Regungen zum Ursprung, unter anderem eine Abwendung von Stuck und Plüsch des Historismus sowie eine schwärmerische Sinnlichkeit und eine Vorliebe für Formen aus der Pflanzenwelt. So sind kurvige Ornamente und verschnörkelte Dekorationen kennzeichnend für Geschirr, Vasen, Treppenläufe und Möbelstücke jener Epoche.

Jugendstil-MoebelDie geschwungene Linie, die Kurve, ist das kennzeichnende Merkmal der damals entstandenen Stilrichtung, sowohl in der Baukunst als auch in der Innenausstattung. Möbel aus der Zeit des Jugendstils weisen oft edle Materialien und reichhaltige florale Verzierungen auf. Die dekorative Verwendung von Glas, das zumeist sorgfältig zurechtgeschnitten werden musste, um es den schwungvollen, organischen Formen der Rahmenkonstruktionen anzupassen, ist ein typisches Gestaltungsdetail von Schrankmöbeln, Fenstern und Türen dieser Ära. Exklusive und kostspielige Materialien und kunsthandwerkliche Herstellung machten Gebrauchsgegenstände und Möbel zu Luxusartikeln, deren Erwerb sich die breite Bevölkerung nicht leisten konnte. Dies und die Tatsache, dass die gleichzeitig beginnende Industrialisierung die billigere Herstellung von Massenware ermöglichte, führten dazu, dass die Stilrichtung sich nicht sehr lange halten konnte.

Die Blütezeit des neuen Stils dauerte kaum mehr als ungefähr zwanzig Jahre und verlor dann sehr schnell ihre schöpferische Kraft. Daraus erklärt sich die relative Seltenheit der aus dieser Zeit erhaltenen originalen Innenausstattungen, Möbel und Einrichtungsgegenstände. Die Faszination für die Formensprache jener Ära, für geschwungene Linienführung und der Natur nachempfundenes Dekor, hat jedoch entgegen dem herrschenden Zeitgeist des aufkommenden Modernismus auch Anhänger gefunden, in deren Haushalten Jugendstilmöbel überlebt haben. So kommt es, dass man auch heute noch gut erhaltene Stühle und Tische, Kommoden und Schränke aus dieser Epoche finden kann. Die hervorragende Verarbeitung der Möbel hat dafür gesorgt, dass sie die Jahrzehnte bis in die heutige Zeit überdauern konnten.

Während der Jugendstil in den 50ern und 60er Jahren oftmals belächelt wurde, erkannte man in den späten 70ern den kulturgeschichtlich bedeutsamen Wert jener Epoche. Viele noch erhaltene Gebäude und Ladenausstattungen wurden unter Denkmalschutz gestellt. Möbel und Einrichtungsgegenstände aus der Zeit der Jahrhundertwende findet man am ehesten bei Antiquitätenhändlern und in Auktionshäusern, mit etwas Glück kann man auch auf Flohmärkten fündig werden.

© Mikhail Olykainen – Fotolia.com