Gründerzeit

Als Gründerzeit wird die Zeit nach der Gründung des Deutschen Reiches bezeichnet, eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, der Expansion von Städten und der fortschreitenden Industrialisierung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert stieg der Wohlstand des Bürgertums, was sich in der Wohnkultur und damit in der Gestaltung von Einrichtungen und Möbeln niederschlug. Mit dem verbesserten Lebensstandard änderte sich auch das Lebensgefühl, im Bürgertum entstand das Bedürfnis danach, zu zeigen, was man hatte. Möbel hatten dementsprechend repräsentative Funktion, man orientierte sich am Einrichtungsstil des Adels.

In dieser euphorischen Zeit entstanden vorwiegend voluminöse Schränke, Tische und Buffets und vergleichsweise wenige Kleinmöbel. Die Formensprache zeichnet sich durch geradlinige und kantige Grundformen aus, die jedoch reich verziert waren. Neben dem Stolz auf das Erreichte drückte sich ebenso wie in der Architektur auch in der Raumgestaltung und Möblierung eine Bewunderung für vergangene Zeiten aus. Daher verwendete man viele Stilelemente und Details, die auf die Renaissance zurückgreifen. Derartige Gestaltungselemente sind als Säulen und Kapitelle ebenso zu finden wie als Profilierungen und Reliefs. Als Material für die Möbelstücke, die insgesamt häufig schwer und mächtig wirken, wurde oft Nussbaum oder Eiche gewählt, hochwertige und ebenso widerstandsfähige Holzarten. Im Allgemeinen sind Gründerzeitmöbel eher dunkel gehalten.

Aus der damaligen Zeit sind neben Skizzen und Fotografien auch viele Anleitungen und Zeichnungen zum Bau von Möbeln erhalten, die Einblick geben in die verschiedenen erforderlichen Arbeitsschritte und meisterlichen Leistungen damaliger Schreinerkunst. Da dieser Einrichtungsstil, der sich an der privilegierten Schicht orientierte, in einem großen Teil der Bevölkerung auf Anklang stieß, entstand die Basis für eine expandierende Möbelindustrie, die dem Bedürfnis nach einem repräsentativ wirkenden Wohnumfeld Rechnung trug. Nach der Etablierung in herrschaftlichen Häusern breitete sich der Stil in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts auch in den Häusern weniger gut Verdienender aus. Wo das Einkommen jedoch keine hochwertigen Materialien und erstklassige Verarbeitung erlaubte, musste zum Beispiel bei der Verwendung von Bezugsstoffen anstatt mit Samt oder Seide mit weniger exklusiven Stoffen vorlieb genommen werden.

In jener Zeit veränderten sich Funktion und Zweck des Wohnumfeldes, speziell des Wohnraums: Aus dem Familientreffpunkt wurde ein Raum, der vorrangig zur Repräsentation diente. Wohnzimmer und Esszimmer bildeten mit ihren voluminösen und prachtvoll ausgeschmückten Möbeln die Visitenkarte des Hauses. Teilweise war diese Entwicklung auch auf die zunehmende Industrialisierung zurück zu führen, die mit sich brachte, dass die typische Großfamilie zerbrach, weil in den Städten neue Arbeitsplätze entstanden.

Aus der Gründerzeit sind heute vorwiegend noch schwere Tische, auch Schreibtische sowie Kommoden zu finden. Um sich von der Authentizität eines Möbelstücks zu überzeugen, sollte stets der Fachmann zu Rate gezogen werden.